2. Innere, spirituelle Aspekte der Kampfkunst
Die Kampfkünste können formell in äußere und innere
Stile unterteilt werden. Neben den äußeren Formen und der äußeren
Technik gibt es in den Kampfkünsten auch innere Formen und
innere Techniken, die genauso intensiv praktiziert werden sollten
wie äußere.
Die Konzeption der "inneren" Stile der Kampfkunst
Es gibt vielzählige und unbestreitbare Tatsachen, die das
Vorhandensein der besonderen Zustände beim Menschen belegen. Diese
Zustände werden von einem gewöhnlichen Menschen spontan
in den Momenten äußerster Gefahr erreicht. Die Aufgabe eines
Meisters des "inneren" Stiles ist die bewusste und
gezielte Erlangung solcher Zustände für die erfolgreiche
Führung des Faustkampfes.
In-Erscheinung-Treten außergewöhnlicher Kraft und Fähigkeiten
Es sind viele Fälle bekannt, wo gewöhnliche
Menschen bei extremer Gefahr außergewöhnliche Fähigkeiten
und Kraft an den Tag legen.
Eine schwache Frau beispielweise hob und bewegte ein schweres Auto, um
ihr Kind zu befreien, das einen Unfall hatte. Ein anderes Beispiel : Ein
Fallschirmjäger verwickelte sich während des Sprunges in den
Fallschirmstrick, und da er kein Messer hatte, zerriß er ihn mit bloßen
Händen. Im normalen alltäglichen Zustand kann ein Mensch so
etwas nicht vollbringen.
Aus Schilderungen von Menschen, die klinisch tot waren, jedoch
wiedererwachten, ist ebenfalls bekannt, daß ein Mensch im Moment des
klinischen Todes aus seinem Körper "heraustreten" und das
um ihn Geschehende sehen kann, obwohl die Augen seines physischen Körpers
geschlossen sind. In dieser Phase der Todesnähe tritt der Mensch aus
dem physischen Körper heraus und erreicht seinen sogenannten energetischen
Körper. In einem ähnlichen Zustand führt ein
Faustkampfmeister, dessen Augen zugebunden sind, den Kampf. Er weiß,
wie man aus seinem Körper "heraustreten" kann, ohne dabei
zu sterben.
In äußersten Fällen einer Todesgefahr mobilisiert der
Mensch spontan alle seinen Reserven und realisiert Fähigkeiten,
die unter gewöhnlichen Umständen keine Anwendung finden - wir
alle haben diese Kraft in uns. Aber ein Kampfkunstmeister versteht es,
diese Kraftreserven zielbewußt zu erreichen und sie
z.B. im Faustkampf anzuwenden. Der Meister trainiert nicht nur seinen
physischen, sondern besonders seinen energetischen Körper.
Die veränderten Wahrnehmungszustände
Das Geheimnis der außergewöhnlichen Fähigkeiten und Kraft
der Jogis liegt in ihrem Können, ihren inneren Zustand zu verändern,
nicht aber im Umfang ihrer Muskeln. Ein Jogi, der gewaltige Kraft zu
entwickeln vermag, sieht vom Standpunkt eines Europäers oft
unsportlich aus. "Grosse Muskeln bedeuten große Kraft, genau so
wie ein großer Bauch für eine gute Verdauung steht.",
sagte Alexandr Sass (Samson), ein bekannter Kraftsportler in Rußland.
Die sogenannten inneren Stile der Kampfkünste benutzen innere
Mechanismen des Jogas bzw. der Magi, angewandt für den Faustkampf.
Ein krasses Beispiel praktischer Anwendung der Mechanismen inneren
Wissens bietet der Begründer des Aiki-do Morihei Ueshiba. Er führt
seine Einzelkämpfe mit phänomenalem Erfolg durch, obwohl er äußerlich
wenig athletisch aussieht.
Die Stärke eines Meisters liegt in seiner Energie und der Fähigkeit,
diese gezielt zu nutzen. Sein (innerer) Energiekörper ist
stark. Ein Kampfkunstmeister führt den Kampf im veränderten
Bewußtseinzustand.
Ein Beispiel der inneren Technik und eines veränderten Bewußtseinszustandes
Im Kampf ist nicht nur die Geschwindigkeit der Bewegung wichtig, sondern
vor allem auch die Geschwindigkeit der Wahrnehmung. Diese
aber hängt vom allgemeinen energetischen Zustand ab.
Im Moment einer Todesgefahr, wenn alle Reserven zum Zweck des Überlebens
mobil gemacht werden und der Energiepegel steigt, steigt auch die Geschwindigkeit
der Wahrnehmung. Zum Beispiel fährt ein Auto mit großer
Geschwindigkeit einen Fußgänger an. Dieser kurze Augenblick des
Zusammenstoßes zerlegt sich für das Unfallopfer in mehrere
kleine, einzelne Momente, Bewegungen und Details : Die Stoßstange
des Wagens berührt den Körper, die Beine heben vom Boden ab, der
Körper fällt um u.s.w. Der Mensch beginnt, sich wie von der
Seite zu betrachten. Die Zeit fließt nun für ihn anders,
langsamer als für einen äußeren Zuschauer. Das
gibt ihm die Möglichkeit, alle Details wie in Zeitlupe wahrzunehmen.
Diejenigen, die solche Situationen erlebt haben, sprechen von einer veränderten
Zeitwahrnehmung. Es ist ein anderes Zeitgefühl, es kann nicht
als bloße "mechaniche" Verlangsamung beschrieben werden -
es ist etwas anderes. Für eine erfolgreiche Kampfesführung ist
es wichtig, diese Zustände und Wahrnehmungen auf bewußte
Weise zu erlangen und anzuwenden - dann wird der Gegner "langsam".
Dafür muß man in einen veränderten Wahrnehmungszustand
eintreten, indem man sich an die extreme Situation erinnert. Dieser veränderte
Zustand muß durch rein innere Methoden erreicht werden, nicht aber
durch äußere extreme Faktoren - um die Zerstörung seines
physischen Körpers zu vermeiden.
Ein Beispiel für die Anwendung innerer Mechanismen beim Training
Die Anwendung der inneren Technik besteht darin, seine psychischen
Prozesse und die innere Beziehung zu Handlungen zu ändern. Ein
wichtiges Prinzip dabei ist das "Nicht-Tun", welches
beispielsweise auch beim Training am Sandsack angewendet werden kann: Man
gibt sich selbst die Einstellung, daß man den Sandsack nicht schlägt,
sondern seinen eigenen Körper durch die Schläge gegen den Sack
massiert. Eine schwache Massage macht jedoch keinen Spaß, darum
werden die Schläge gegen den Sack stärker.
Ein solches Training macht Spaß, der Sportler trägt keine
Verletzungen davon, bringt sein ganzes energetisches Potential zur
Entfaltung. Die Energieübertragung von Hand oder Bein zum Sack
vollzieht sich auf optimale Weise, und letztendlich werden starke,
technisch richtige und in Bezug auf Energieaufwand optimale Schläge
realisiert. Die Effektivität des Trainings erhöht sich.
Durch die veränderte Wahrnehmung der Handlung bzw. der Einstellung
ihr gegenüber wird das physische Potential optimaler ausgeschöpft.
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Dioukov
Kampfkunst 3.Teil
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