Die Geschichte II
Die Geschichte des russischen
Faustkampfes
Der Faustkampf ist eng mit der militärischen Ausbildung verbunden
und hat tiefe, historische Wurzeln. Die hohe Fertigkeit russischer Meister
wird bereits in alten Chroniken erwähnt. Die Geschicklichkeit der
Slawen im Kampf Mann gegen Mann wird hier besonders hervorgehoben. Man
sagt, daß die Siege des russischen Staates in den Kriegen auf die
Militärkunst, die Volksvorbereitung auf den Einzelkampf, zurückzuführen
sind. Bis zur heutigen Zeit sind die die Namen der altrussischen Meister
im Faustkampf im Volksgedächtnis und in der Dichtung (z.B. das Lied über
den Kaufmann Kalaschnikow gegenwärtig).
Dabei geht es in den Heldenliedern nicht nur um bärenstarke
Vorbilder, sondern auch um Kämpfer, die von kleiner Statur und schwächlich
waren, aber durch exzellente Techniken triumphierten.
Gerade diese Umstände sind besonders bemerkenswert, da sie zeigen,
daß nicht immer die von der Natur gegebene Kraft ausschlaggebend für
den Ausgang eines Kampfes sein muß. Die verschiedenen Ausbildungen
der Faustkämpfer, das Training nach vorgegebenen Richtlinien,
bestimmte Atemtechniken (Ziguns=Chi Gung) und der besondere Zustand des
Geistes (Meditation) machten aus dem unscheinbaren Kämpfer einen gefährlichen
Gegner.
Graf F.W. Rostoptschin, Gerneral-Gouverneur im russischen Krieg 1812 und
ein Kenner des englischen Boxens, sagte oft zu seinen Leuten "Faustkampf
ist die gleiche Wissenschaft wie der Rapirenkampf". Die
Spezialvorbereitung und Unterweisung der Soldaten im Faustkampf
bezeichnete er als "die Wissenschaft zu siegen".
Der Kampf auf dem gefrorenen Fluß
Wenn man sich einen Karatesportler, der auf einem gefrorenen Fluß kämpft,
werden die Unterschiede zwischen dem russischen Prinzip recht deutlich.
Hier wird sofort klar, daß es unmöglich ist, barfüßig
zu kämpfen. man würde ausgleiten und fallen. Also muß man
seine Technik prinzipiell ändern, so entfernt sie sich aber wiederum
von dem traditionellen Stil.
Auf Okinawa, wo Gichin Funakoshi das moderne Karate begründet hat,
gibt es keinen Frost und Schnee, und die Eiskämpfe interessierten die
Einheimischen zugegeben sehr wenig. Die Karatekämpfer von Okinawa
haben dieses System für sich selbst geschaffen, für ihren Körperbau,
für die Besonderheiten ihres Inselklimas. Sie verdienen Hochachtung,
da sie ihre Heimattradition bis heute bewahrt haben.
Der Mauerkampf
Im alten Rußland gab es einen schönen Brauch. Am Feiertag
versammelten sich die Burschen und Männer aus den umliegenden Dörfern
auf dem gefrorenen Fluß und rückten in zwei Parteien
geschlossen wie eine Mauer aufeinander zu, um sich dann im Faustkampf zu
messen. Für einige erscheint diese Art des Faustkampfes als unsinnige
Grausamkeit und barbarischer Brauch. Aber diese Meinung besagt nur, daß
man die russische Geschichte des Faustkampfes nicht kennt. Warum kämpfte
man im Winter auf dem Fluß?
Die Flüsse waren die Hauptwege des waldigen und versumpften Rußlands.
Im Sommer befuhr man sie mit Booten und im Winter mit Hundeschlitten. Über
die gefrorenen Flußläufe und Sümpfe wanderten ganze Heere
von Soldaten zu ihren Bestimmungsorten, und so war die Wahrscheinlichkeit
des Flußkampfes groß.
Dabei gingen die kriegerischen Handlungen nicht nur von Soldaten aus,
auch das einfache Volk, Bauern und Handwerker waren ständig in
Streitigkeiten verwickelt. Da sich Rußland zu dieser Zeit ständig
mit irgend jemandem im Krieg befand (selten war ein Jahr friedlich), mußte
jedermann kämpferische Fähigkeiten haben, um in dieser
unsicheren Zeit zu bestehen.
Für den Soldaten war die Fähigkeit, waffentüchtig zu sein,
die Hauptsache und jede freie Minute wurde dazu verwandt, seine Techniken
im Faustkampf zu vervollkommnen.
Das gemeine Volk war da schon viel ärmer dran, denn sie gingen ihren
normalen Broterwerb nach und mußten sich in der verbleibenden Zeit
im Kampf schulen, um auf die Angriffe vorbereitet zu sein.
So suchte man in dieser Zeit nach einem Mittel, wie man einen jungen
Burschen zum sicheren Kämpfer machen kann, wie man die kämpferische
Reife eines erprobten Mannes bereits in jungen Jahren erreichen konnte.
Bei allen Überlegungen wollte man obendrein auch noch den Teamgeist
wecken, die Bereitschaft, Schulter an Schulter gegen einen gemeinsamen
Feind vorzugehen. Auf diese Weise wurde der Mauerkampf, der all diese
Eigenschaften in sich vereinigte, zur Tradition.
Die Regeln des Kampfes waren im gesamten Rußland gleich. Man kämpfte
wie eine Mauer gegeneinander.
Jede Mauer konnte drei und mehr Reihen haben. Man durfte nicht ins
Gesicht, unter den Gürtel oder am Boden liegende Kämpfer
schlagen, da es sich doch um Landsleute handelte und nicht um Fremde (im
Gegensatz zu den westlichen Zweikämpfen, wo der Sieg alles
bedeutete). Aber geben die Brust und in den Bauch schlug man ohne
Nachsicht. Sieger war das Team, dem es gelang, die gegnerische Mauer zu
durchbrechen.
Der Faust-Mauerkampf war die Vorbereitung des Kämpfers neben der Ausübung
seiner beruflichen Tätigkeit. Gerade die Landwehrleute übten
sich ständig im Mauerkampf, um dadurch den Nachteil der schlechteren
Bewaffnung gegenüber den Soldaten zu kompensieren.
Erwähnt sei hier der berühmte Eiskampf von Alexander Newski,
der die Landwehrleute ohne Harnisch und Hakenstock, letzteres war damals
eine begehrte Eiskampfwaffe, gegen die Soldaten in den Kampf schickte. Er
wußte, daß die gefrorene Decke des Tschudskoje-See im April tückisch
ist, und man sowenig Lasten wie möglich mit aufs Eis nehmen sollte.
Die Ritter mit ihren Pferden krochen förmlich über das Eis, sie
waren schwerfällig und unbeweglich. Die Landwehrleute, durch viele
Mauerkämpfe erfahrene Eiskämpfer, hatten keine große Mühe,
mit den stark bewaffneten Rittern fertig zu werden. Sie wurden einfach in
die Eislöcher getrieben.
So hatte das Training des Mauerkampfes gleich mehrere gute Aspekte für
die Landwehrleute. Man übte sich in gemeinsamen Handlungen,
gegenseitiger Hilfe und Kampf auf Tuchfühlung. Alles unterwarf sich
dem Ziel zu siegen. Du kannst sterben, aber du mußt deinem Freund an
deiner Seite helfen.
Das russische Faustkampfsystem
Dieses System brachte Kenntnisse und Erfahrungen, die seit Jahrhunderten
russische Kämpfer beherrschen, es läßt sich auch in
unserer Gegenwart anwenden. Gegründet auf Entspannung und Nachgeben
der Kraft, dieses System beschränkt sich nicht auf die Kampftechnik
und Tricks, sondern kümmert sich auch um die Effektivität und
die Realität im Faustkampf, entwickelt Natürlichkeit, Spontanität
und Einfachheit der Bewegungen. Dieses System gibt die Freiheit für
Evolution, läßt die Stereotypen ablehnen.
Die nicht voraussehbare, unerwartete und sehr effektive Kampftechnik
dieses Systems bringt einen großen Vorteil (ganz natürlich, da
das russische Kampfsystem im Vordergrund bei der Vorbereitung der
US-Marineinfanterie lag, diesen Stil haben sie in die Bewaffnung dank der
russischen Offiziers-Emigranten mit aufgenommen).
Weil das System für reale Lebenssituationen bestimmt ist, und das
Ziel des Kampfes ist, am Leben zu bleiben, sind im Training physische und
psychische Reaktionen in verschiedenen Kampfsituationen auszuarbeiten, im
schmalen Flur, im Wasser, mit verbundenen Händen, mit Verletzungen am
Bein, usw.
Man unterrichtete das "System" in den Spezialschulen (in denen
man Devirsanten vorbereitete) in denen man nach der Revolution die
Kampfkunst der russischen Kämpfer verbannte. Diese System hat im
Krieg die Prüfung bestanden - war Hauptkampfmethode in der
Geheimorganisation der "SMERSCH" von Stalin, um speziell gegen
Saboteure und Terroristen zu kämpfen. Während des "Großen
Vaterländischen Krieges" war diese Kunst auch unter den
einfachen Soldaten verbreitet. Man gab es von Generation zu Generation
weiter.
Aber nach dem Krieg vergaß man allmählich die Kunst des
russischen Kampfes. Auf diese Weise wurde die Kampfkunst fast vergessen.
In dieser Zeit strömten in die Nischen andere fremde Zweikampfarten.
Aber nur wenige dachten nach, daß die östlichen Kampfkünste
uns nicht nur psychisch, sondern auch physiologisch fremd sind. Es ist für
einen Europäer einfach unbequem, z.B. in der im Osten verbreiteten
Pose "Lotos" zu sitzen. Dasselbe geschieht bei der Ausführung
verschiedener Schläge.
Der Kämpfer ist Träger seiner Kultur, und ohne diese verliert
die Kampfkunst den Sinn. So ist der Sinn der östlichen Zweikämpfe
weitgehend verlorengegangen. Uns hat nur ein kleiner Teil jenes "fremden"
Systems (wie man sagt: "Einguter Wirt wirft aus dem Hause nur Müll
heraus") erreicht.
In den Begriff "Waffe" im russischen Kampfsystem legt man einen
anderen Sinn hinein. Der Faustkampf ist eine unsichtbare Waffe, die man
nicht entdecken kann, solange man sie nicht gebraucht und abnehmen kann,
solange der Mensch lebendig ist.
Im russischen Kampfsystem benutzt man minimale Kraft, während die
Vertreter anderer Arten von Zweikämpfen, in den Griff oder in den
Schlag ein Maximum an Kraft hineinlegen Nach dem russischen Stil besiegen
alte Leute kräftige Kerle. Sie benutzen Energie und Kraft der
Angreifer, ihre Energie und Kraft der Angreifer, ihre eigene Energie
benutzen sie nur minimal.
Beim Training erfahren die Schüler, wie man mit Hilfe einer leichten
Bewegung die Bemühungen des Gegners für ihr eigenes Nützen
gebrauchen kann.
Man darf nicht vergessen, daß der Faustkampf nur ein Bestandteil
des Überlebenskraftsystems der Menschen unter Extrembedingungen ist.
Und manchmal kann man im Kampf nur dann siegen, wenn man dem physischen
Konflikt entgeht.
Im russischen Kampfsystem ist die Bewertung der Situation, der Gegend,
der Zeit, vom Tag und der Jahreszeit nötig. Hier besteht
wahrscheinlich der Hauptunterschied des Faustkampfes gegenüber den
Sportarten, die im wesentlichen die Verbindung mit der wirklichen
Kampfkunst verloren haben.
So wird es klar, daß man sich mit dem russischen Kampfsystem nicht
einfach in der Freizeit beschäftigen kann, es ist eine Lebensweise.
Und es ist bedauerlich, daß die Traditionen praktisch verloren sind.
Doch es ist gut, daß sich noch Menschen mit diesem System beschäftigen
und alles wiederzubeleben helfen.
Geschichte 1. Teil
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